Was wir wirklich über Asylsuchende wissen Teil IV
Dienstag, 29. März 2016
Vor geraumer Zeit haben wir den vierten Teil unserer Serie angekündigt – heute ist es nun endlich soweit. Wir möchten uns in dieser Folge der Frage widmen, warum es so schwierig ist, eine repräsentative Stichprobe von Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, zu realisieren. Dies wäre nötig, um mehr über diese Menschen zu erfahren – bspw. über ihre Qualifikation oder ihren Gesundheitszustand. In der letzten Folge hatten wir dargelegt, dass mit dem Ausländerzentralregister (AZR) prinzipiell eine hervorragend geeignete Grundlage zur Stichprobenziehung vorliegt, handelt es sich doch hierbei genau um das, was von der Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland (zum Leidwesen von Wissenschaft, Markt- und Meinungsforschung) fehlt: um ein zentrales Register, in dem sämtliche Personen geführt sind und aus dem eine Zufallsstichprobe gezogen werden kann.
Das AZR erfasst unter anderem auch alle Menschen, die als Asylsuchende nach Deutschland gekommen sind. Jedoch erfolgt ein Eintrag in das Register erst, wenn die betreffende Person Asyl beantragt. Dies hat mit Blick auf die aktuelle Situation ein sogenanntes Undercoverage zur Folge: Da viele Flüchtlinge noch keinen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (bzw. bei dessen Außenstellen) stellen konnten, ist gegenwärtig nur ein Teil der Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, in diesem Register enthalten. Würden sich nun diese Menschen, die (noch) nicht im Register enthalten sind, von den bereits im AZR erfassten Menschen nicht systematisch unterscheiden, so wäre dies kein ernsthaftes Problem. Diese Annahme erscheint allerdings unrealistisch. Warum? Nun, die Frage, ob eine Person im AZR bereits gelistet ist oder nicht, dürfte wesentlich mit dem Zeitpunkt der Migration zusammenhängen – und dieser Zeitpunkt korreliert sehr stark mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Im Verlaufe des Jahres 2015 hinweg änderte sich nämlich die Struktur der Flüchtlingspopulation mit Blick auf deren Herkunftsländer gewaltig: So stammten noch im März 2015 knapp die Hälfte (48%) der Asylbewerber aus dem Kosovo, aus Albanien, aus Serbien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina. Der Anteil von Menschen aus Syrien belief sich dagegen nur auf 20%. Im Dezember stammte dagegen nur noch rund ein Viertel der Asylsuchenden aus den Ländern des Balkans, aber bereits 36% aus Syrien. Im Februar 2016 beliefen sich die entsprechenden Anteile dann sogar nur noch auf 3% (Albanien und Mazedonien) bzw. auf 52% (Syrien) – was von Relevanz ist, da ein Teil dieser Menschen bereits in 2015 in Deutschland angekommen sein dürfte. Würde man also aus dem AZR eine Zufallsstichprobe von bspw. 3.000 Menschen ziehen, die im Jahr 2015 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, so wäre es auf der Basis dieser Stichprobe faktisch nicht möglich, verlässliche Aussagen über die Gesamtpopulation der im Jahr 2015 nach Deutschland eingereisten Flüchtlinge zu treffen. Vielmehr wären die Ergebnisse, bspw. im Hinblick auf das Bildungs- und Qualifikationsniveau der Flüchtlinge, verzerrt – und zwar in eine unbestimmte Richtung.
Doch selbst wenn man dieses Problem in den Griff bekäme, so würden weitere Herausforderungen bestehen bleiben. So ist im AZR nicht die aktuelle Anschrift bzw. der gegenwärtige Aufenthaltsort der Person hinterlegt, sondern nur die für sie zuständige regionale Ausländerbehörde, von denen es in Deutschland ca. 570 Stück gibt. Diese Behörden müssen folglich mit ins Boot geholt werden, möchte man den Aufenthaltsort der ausgewählten Personen erfahren, um sie für eine Befragung kontaktieren zu können. Doch selbst wenn man unterstellt, dass die Zusammenarbeit mit den Behörden funktioniert, man auf diese Weise den Aufenthaltsort der Person erfährt und diese Angaben auch verlässlich und aktuell sind, so mag sich die Kontaktaufnahme noch immer problematisch gestalten. Findet man nämlich bspw. in einer Erstaufnahmeeinrichtung oder in einer Gemeinschaftsunterkunft die gesuchte Person (was sicherlich auch nicht immer einfach ist), so muss man dieser zuerst erklären, dass sie im Rahmen einer Zufallsziehung ausgewählt wurde und nun befragt werden soll und diese Befragung in keinem Zusammenhang mit ihrem Asylantrag steht. Andernfalls mag sich die Befragungsperson, sofern sie sich zur Teilnahme bereit erklärt, in hohem Maße strategisch verhalten und Antworten zu Protokoll geben von der sie glaubt, diese seien einer Bewilligung ihres Asylantrags zuträglich. Bei alledem wurde bislang das Problem der Sprache noch völlig ausgeblendet. Die Durchführung einer Befragung von Flüchtlingen erfordert einen breiten Einsatz von Übersetzern und Dolmetschern sowie – ganz allgemein – ein kultursensibles Vorgehen. Und schließlich darf nicht vergessen werden, dass in manchen Herkunftsländern der Anteil von Analphabeten deutlich höher ist als hierzulande, was einzelne Erhebungsdesigns von Vornherein ausschließt. Hierzu zählen sämtliche Formen selbstadministrierter Befragungen, sofern sie nicht auf eine Audio- oder Videounterstützung zurückgreifen.
All dies mag den Eindruck vermitteln, eine repräsentative Befragung von Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, sei unmöglich. Tatsächlich muss man sich von dem Gedanken verabschieden, eine solche Befragung sei „schulbuchmäßig“ zu realisieren. Man wird also Kompromisse eingehen müssen, um sein Ziel zumindest in weiten Teilen zu erreichen. Wie solche Kompromisse und mögliche Wege aussehen können, werden wir im letzten Teil unserer Serie vorstellen. Bis dahin wünschen wir Ihnen eine gute Zeit!