GUS-Insights Teil X: Einflussfaktoren auf Schulwegeverletzungen (3): Wer trägt einen Fahrradhelm?

Montag, 14. Dezember 2020

Heute beschäftigen wir uns noch einmal mit Schulwegeverletzungen, diesmal jedoch auf eher indirekte Weise. Die bisherigen Analysen haben gezeigt, dass Schüler*innen, die mindestens einen Teil ihres Schulwegs mit dem Rad zurücklegen, signifikant häufiger von Schulwegeverletzungen berichten. Hier kann nun das Tragen eines Fahrradhelms bedeutsam sein und dazu führen, dass die Folgen von Schulwegeverletzungen weniger gravierend ausfallen, wenn die betroffenen Schüler*innen bei ihrem Radunfall einen Fahrradhelm getragen haben. Doch wie ist es um die Tragequoten bei radfahrenden Jugendlichen im Zeitverlauf bestellt? Und welche Merkmale begünstigen das (berichtete) Tragen eines Fahrradhelms? Diesen Fragen wenden wir uns heute zu und greifen dabei auf vier Befragungen der GUS-Studie aus den Schuljahren 2015/16 bis 2018/19 (Befragungen der 6. bis einschließlich 9. Jahrgangsstufe) zurück.

Im Rahmen der GUS-Studie wurden die Schüler*innen gefragt, ob sie einen Fahrradhelm tragen. Zur Beantwortung dieser Frage wurden den Schüler*innen die folgenden fünf Antwortmöglichkeiten vorgegeben:

  1. ich fahre kein Fahrrad
  2. immer
  3. häufig
  4. selten
  5. nie

Im Zeitverlauf haben sich die Anteile derjenigen Schüler*innen, die auf die Frage mit „ich fahre kein Fahrrad“ antworteten, sukzessive erhöht. Traf dies in der 2. Erhebungswelle (6. Jahrgangsstufe) noch auf 4,1 Prozent der Schüler*innen zu, so äußerten in der 5. Erhebungswelle (9. Jahrgangsstufe) bereits 12,1 Prozent, kein Fahrrad zu fahren. Diese Gruppe schließen wir aus den folgenden Analysen aus und berichten zunächst, wie sich die Häufigkeit des Tragens eines Fahrradhelms unter all jenen Schüler*innen, die das Fahrrad zur Fortbewegung nutzen, entwickelt hat. Dies wird in der folgenden Abbildung dargestellt.

Hier zeigen sich deutliche Verschiebungen im Zeitverlauf hin zu einer stetig geringeren Tragequote eines Fahrradhelms: Gab in der 6. Jahrgangsstufe noch knapp die Hälfte (46,8 Prozent) der befragten Schüler*innen an, immer einen Fahrradhelm zu tragen, wenn sie mit dem Rad unterwegs sind, so traf dies in der 9. Jahrgangsstufe nur noch auf 14,8 Prozent der Schüler*innen zu. Umgekehrt berichtete mehr als die Hälfte (58,8 Prozent) der befragten Neuntklässler*innen, nie einen Helm zu tragen, wenn sie Rad fahren. In der 6. Jahrgangsstufe lag dieser Anteil mit 17,9 Prozent noch deutlich niedriger. Die Abbildung zeigt also einen sehr ausgeprägten Alterseffekt.

Darüber hinaus könnten auch noch weitere Merkmale Einfluss auf die Helmtragequote nehmen. Daher haben wir die eigenständigen Effekte verschiedener Merkmale auf der Ebene des Schulkindes, der Herkunftsfamilie, der Freunde, aber auch von schulischen und regionalen Charakteristika auf die Wahrscheinlichkeit untersucht, „immer“ oder „häufig“ einen Fahrradhelm zu tragen, wenn man mit dem Rad unterwegs ist. Das statistische Modell basiert dabei auf den Erhebungswellen 2 bis 4 (Befragung der 6. bis 8. Jahrgangsstufe), da einige der integrierten Merkmale nicht im Rahmen der Befragung der 9. Jahrgangsstufe erhoben worden sind. Die Ergebnisse sind in folgender Tabelle zusammengefasst.

Eine 0 bedeutet hier, dass das beobachtete Mermal keinen statistisch signifikanten Effekt auf das Tragen eines Helmes hat.
Ein + bedeutet, dass ein statistisch signifikanter positiver Effekt besteht, das heißt, dass Schüler*innen, die diese Merkmale aufweisen, öfter einen Helm tragen.
Ein – bedeutet, analog dazu, einen statistisch signifikanten negativen Effekt.
Je mehr + oder – ausgewiesen werden, desto höher ist das Niveau statistischer Signifikanz, d. h. umso sicherer können wir sein, dass dieser Zusammenhang nicht nur in unserer Stichprobe, sondern auch in der Grundgesamtheit (also bei allen Schüler*innen, die im Schuljahr 2014/15 die 5. Klasse einer weiterführenden Regelschule besuchten) zutrifft. Bei einem Plus- oder Minuszeichen beläuft sich die sogenannte Vertrauenswahrscheinlichkeit auf mindestens 95 Prozent, bei zwei Zeichen auf 99 Prozent und bei drei Zeichen auf 99,9 Prozent oder mehr.

  Effektstärke/Signifikanz
Merkmale des Schulkindes  
  Männliches Geschlecht 0
  Migrationshintergrund vorhanden – – –
  Risikobereitschaft – – –
Merkmale der Herkunftsfamilie  
Familiärer Wohlstand + + +
Liberaler elterlicher Erziehungsstil – – –
Beziehung zu den Eltern + + +
Haushaltskonstellation: Alleinerziehend – – –
Jüngere Geschwister im Haushalt 0
Ältere Geschwister im Haushalt – – –
Merkmale der Freunde  
Risikoverhalten der Freunde – – –
Schulische und regionale Merkmale  
Schulform: Gymnasium + +
Städtische Schule + + +
Schule in Nord-/Westdeutschland + +
Schule in Süddeutschland + + +
Schule in Ostdeutschland Referenz
Alter/Jahrgangsstufe  
6. Jahrgangsstufe Referenz
7. Jahrgangsstufe – – –
8. Jahrgangsstufe – – –

Es zeigt sich, dass von nahezu allen berücksichtigten Merkmalen statistisch signifikante Effekte auf die Wahrscheinlichkeit ausgehen, häufig oder immer einen Fahrradhelm zu tragen, wenn man Fahrrad fährt. Während es hinsichtlich des Helmtragens keine Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gibt, tragen Schüler*innen mit Migrationshintergrund signifikant seltener einen Fahrradhelm. Gleiches gilt auch für Schüler*innen, die eine hohe Risikobereitschaft äußern. In Bezug auf die Merkmale der Herkunftsfamilie tragen vor allem jene Schüler*innen häufiger einen Fahrradhelm, die aus einer Familie mit vergleichsweise hohem familiärem Wohlstand stammen und von einer guten Beziehung zu ihren Eltern berichten. Umgekehrt sind die Tragequoten bei Schüler*innen relativ niedrig, die einen liberalen elterlichen Erziehungsstil erfahren, nur mit der Mutter oder nur mit dem Vater in einem Haushalt zusammenleben und ältere Geschwister haben. Schüler*innen, die von Freunden berichten, die häufig gefährliche Sachen machen, berichten ebenso seltener davon, einen Fahrradhelm zu tragen, wenn sie Rad fahren. Schließlich gehen auch von Merkmalen der Schule und der Region statistisch signifikante Effekte auf die Tragequote aus: So tragen Schüler*innen an Gymnasien häufiger einen Fahrradhelm als Schüler*innen, die an anderen Schulformen beschult werden[1]. Auch die regionalen Unterschiede fallen sehr deutlich aus: Demnach tragen Schüler*innen, die an Schulen in Ostdeutschland unterrichtet werden, signifikant seltener einen Fahrradhelm als Schüler*innen, die in Nord- oder Westdeutschland zur Schule gehen. Nochmals höher fallen die Helmtragequoten von Schüler*innen aus, die an Schulen in Süddeutschland (Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg) beschult werden. Auch tragen Schüler*innen an städtischen Schulen (die Schule befindet sich in einer Kommune mit mehr als 100.000 Einwohnern) signifikant häufiger einen Fahrradhelm als Schüler*innen, die eine Schule in einer ländlicheren Region besuchen.

Hiermit sind wir für das Jahr 2020 am Ende unserer Serie angelangt. Wir wünschen Ihnen angenehme Weihnachtsfeiertage und einen guten Start ins neue Jahr und würden uns freuen, Sie ab nächstem Jahr wieder hier begrüßen zu dürfen.

Falls Sie Rückfragen zu den ausgewiesenen Analysen haben, kontaktieren Sie uns gerne unter info@fzdw.de

[1] Wichtig ist bei diesem wie auch den übrigen Effekten, dass es sich hierbei um die eigenständigen Effekte der entsprechenden Merkmale unter Kontrolle sämtlicher anderer Merkmale handelt. Der positive Effekt der Schulform Gymnasium auf die Helmtragequote ist somit beispielsweise nicht das Resultat einer günstigeren sozio-ökonomischen Situation der Herkunftsfamilien von Schüler*innen, die an Gymnasien beschult werden, da im Modell bereits für den Einfluss der sozio-ökonomischen Lage der Herkunftsfamilie kontrolliert wird.